Home

Texte

Kommentar

Rezensionen

Radio

Schublade

Bilder

Links

 

Kontakt

 

 

 

 

Wer kontrolliert die Medien?

Auch wenn es Linke vom Schlage Noam Chomsky gerne hätten: auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Die Medien bilden ein offenes System, in dem verschiedene Akteure aktiv sind und die Produktion von Unterhaltung und Nachrichten beeinflussen. Um nur einige zu nennen: die kulturelle Umstände, journalistische Praktiken und Ideologien, staatliche Einflußnahme, die Interessen der Besitzer von Medienunternehmen, der Druck des Marktes, sogenannte pressure groups, die sich wandelnden Strategien der Quellen, die versuchen ihre Botschaften zu vermitteln – sie alle beeinflussen Form und Inhalt der Medien.
Mehr noch, Mediensystem sind dynamisch und verändern sich fortwährend. Michael Gurevitch und Jay Blumler nennen das “die Veränderlichkeit der politischen Kommunikation” (1995: 204-6). In ihrer Untersuchung über das Verhältnis zwischen professionellen Journalisten und Berufspolitikern stellten sie fest, daß die Beziehung zwischen diesen keineswegs stabil ist. Vielmehr gibt es

einen fortwährenden Kampf beider Seiten um größere Autonomie und Kontrolle über die politische Kommunikation, als Reaktion auf ihre gegenseitige Abhängigkeit und auf die Beschränkungen, die eine solche Abhängigkeit mit sich bringt (205).

In dieser Auseinandersetzung geht jede Seite ständig von Annahmen über die andere aus, und versucht ihre Strategie neu abzustimmen. Blumler und Gurevitch zitieren zustimmend Dan Nimmo’s wichtige Einsicht: “Politische Nachrichten sind das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Journalisten, die Ereignisse sammeln und berichten, und andere Kommunikatoren wie Politiker und Pressesprecher, die diese zur Verfügung stellen”. Sie weisen darauf hin, daß dieses Verschmelzen geschieht, weil “beide Kommunikatoren ausreichen ausreichend motiviert sind, die andere Seite zu untersuchen, um ihre Interessen durchzusetzen” (1995: 26).
Wenn also die Beziehung zwischen den Professionellen in der politischen Kommunikation so kompliziert sind, wie können wir jemals die Totalität eines Systems begreifen, in dem auch noch Kapitalisten, staatliche Bürokraten und letztendlich Konsumenten Einfluß nehmen? Es ist offensichtlich nichts damit gewonnen, die verschiedenen Akteure nur aufzuzählen. Wir müssen vielmehr das geschichtlich besondere Verhältnis zwischen diesen Akteuren verstehen um die Frage der Medienkontrolle zu beantworten. Die Frage läßt sich nicht beantworten, indem wir Beispiele sammeln, nicht induktiv, sondern nur deduktiv, das bedeutet ausgehend von den sozialen Funktionen, die die Medien in einer kapitalistischen Gesellschaft erfüllen müssen. Das bedeutet nicht empirische Ergebnisse zurückzuweisen, sondern einen theoretischen Rahmen zu entwickeln, in dem diese Ergebnisse erst fruchtbar sein können.

 

 

Das Medienprodukt – eine besondere Ware?
Die Medien verwandeln Information in Waren, die in einem Markt zirkulieren. Der Wert beziehungsweise die Wertlosigkeit dieser Waren wird, wie der jede anderer Ware, in der Zirkulationssphäre bestimmt. Die Warenform des Medienprodukts ist nicht außerhalb des symbolischen Inhalt, sondern strukturiert ihn. Form und Inhalt, Ware und Bedeutung durchdringen einander. Die verborgene Bedeutung des Klischees, die Öffentlichkeit sei ein Marktplatz der Ideen, ist daß Ideen und ihre Verbreitung von den Marktverhältnissen (Angebot und Nachfrage beispielsweise) beeinflußt werden.
Beim Konsum der Medienware treffen sich zwei verschiedene Kreisläufe: die Zirkulation von Kapital und die von Bedeutung. Jean Baudrillard versucht dieses doppelte Wesen der zeitgenössischen Medien mit dem Begriff “Zeichenwert” zu fassen: der reine Verweis auf etwas anderes. Für ihn ist dieser Wert von Information ein völlig neues, postmodernes Phänomen, das sich nicht mehr mit politischer Ökonomie beschreiben läßt (Baudrillard 1983; eine gute theoretische Kritik liefert Schoonmaker 1994, eine gute empirische Philo / Miller 2001: 40). Baudrillards Zeichenwert ist aber nichts anderes als der Gebrauchswert, der auf Tausch beruht, denn Zeichen und Informationen lassen sich nur gebrauchen, wenn sie von einem Subjekt zum nächsten wandern. Karl Marx schrieb: “Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z.B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache” (1987: 49), nämlich an dem Gebrauchswert.
Information als Ware zu handeln ist nicht einfach. Der amerikanische Soziologe Erving Goffman schrieb: “Von allen Dingen ist Information am schwierigsten zu bewachen, denn sie kann gestohlen werden, ohne sie wegzunehmen” (zitiert in Meyrowitz 1985: iv). Mit anderen Worten, “die kulturelle Ware wird nicht im Prozeß ihres Konsums zerstört” (Garnham 2000: 80) – sie ist, was Ökonomen ein öffentliches Gut nennen. Garnham definiert ein solches Gut folgendermaßen:

Erstens, wo keine Knappheit herrscht gibt es keine Rechtfertigung, den Zugang durch den Preis einzuschränken. Zweitens, die Einführung einer Preisbarriere senkt den Gesamtnutzen, weil es die ausschließt, die das Gut oder die Dienstleistung konsumiert hätten, wäre es kostenlos, ohne den Nutzen für die zu steigern, die weiterhin konsumieren (Garnham 2000 b: 57).

Daher ist Information schwieriger zu verwerten als etwa Lebensmittel. “Es war zunächst schwierig, jene Knappheit zu erzeugen, auf der Preise beruhen (...) eine Reihe von Strategien mußten entwickelt werden, die künstlich den Zugang beschränken, um so Knappheit zu erzeugen” (Garnham 2000: 80). Das gleiche gilt auch für andere Dinge und Leistungen, etwa Eisenbahnfahrten. Die Verwirrung wird noch gesteigert durch die Tatsache, daß die Medienprodukte auf gewisse Art doppelte Waren sind, denn sie zielen in erster Linie auf Anzeigenkunden und dann auf die Konsumenten, an die den Gebrauchswert eines bestimmten Medienprodukts verkaufen (vergleiche beispielsweise Fiske 1989). Bei Druckmedien stammt der Großteil der Einkünfte aus der Werbung, beim Privatfernsehen alle. Selbstverständlich sind beide Aspekte verbunden, denn um Werbekunden anzuziehen müssen die medialen Waren (bestimmte) Konsumenten ansprechen.

Wie in den anderen Kulturindustrien sind auch hier die Produktionskosten (die Kosten, die nötig sind, um die erste Kopie herzustellen) im Vergleich mit den Kosten der Vervielfältigung (Pressen, Distribution usw.) hoch. Das führt dazu, daß die Gewinne von jedem weiteren Verkauf relativ anwachsen, was wiederum zu einem starken Drang führt, das Publikum zu vergrößern (Toynbee 2002: 155).

Der Grund für die relativ hohen Produktionskosten des Originals sind die notwendigen Anteile von handwerklichem oder künstlerischen Aufwand. Diese individuelle Kreativität erklärt, warum kulturelle Produktion niemals vollständig industrialisiert werden kann. Theodor Adorno erklärt deshalb den Begriff Kulturindustrie folgendermaßen:

Der Ausdruck Industrie sollte nicht wörtlich genommen werden. Er bezieht sich auf die Standardisierung der Sache selbst... und auf die Rationalisierung der Distributionstechniken, nicht strikt auf die Produktion. Obwohl im Film, dem zentralen Sektor der Kulturindustrie, der Produktionsprozeß technischen Herstellung ähnelt in der extremen Arbeitsteilung, dem Einsatz von Maschinen und der Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln bleiben individuelle Produktionsformen erhalten (1991: 14).

John Clarke beschreibt deshalb diese spezifische organische Zusammensetzung der kulturindustriellen Produktion folgendermaßen:

Diese Prozesse... schließen oft eine Beziehung zwischen unternehmerischer Produktion und Distribution einerseits und halb-autonomer oder kleinbürgerlicher Warenproduktion andererseits ein. Musik, Film und Fernsehen sind die besten Beispiele für die Einschließung von “kreativer Arbeitskraft” in der kulturellen Produktion, bei der Kreativität eingekauft oder aus der Struktur der Konzerne ausgelagert wird (Clarke 2000: 289; siehe auch Garnham 2000).

Kaum eine Industrie so monopolisiert wie die Medien, denn nirgendwo sonst ist schiere Marktmacht ein solcher Vorteil. Die niedrigen Reproduktionskosten “motivieren die Unternehmen verschiedene Geschäftstaktiken und –strategien anzuwenden, um das Publikum und den Verkauf zu vergrößern” (Van Gompel et al. 2002: 164). Die Konzentration geht in der momentanen Krise unvermindert weiter – besonders seit 1996 in den USA ein geändertes Kartellrecht in Kraft getreten ist (mit dem schönen Namen Freedom of Information Act) und die Welthandelsorganisation oft erfolgreich Nationalstaaten dazu drängt, ihre ”geschützten Medienmärkte zu öffnen”. Beispiel Zeitungsmarkt: in England teilen sich im wesentlichen drei Konzerne den gesamten Markt, ebenso in Deutschland.
Das bedeutet aber nicht, daß der Inhalt in jedem Fall, aber sicher im Regelfall, den Kapitalinteressen der Besitzer entspricht (Schudson 2000: 144). Ist die Leserschaft unterprivilegiert, macht das eine komplizierte Vermittlungsleistung der Redakteure und Journalisten nötig. Ein Beispiel: die englischen Boulevardzeitungen sind geprägt vom Haß auf die europäische Einigung, dazu bauen sie auf die Fremdenfeindlichkeit und Provinzialität ihrer Leser, deren berechtigte Aggression sie in die ihnen genehme politische Richtung umleiten. Sobald Anfang diesen Jahres der EU-Verfassungsentwurf bekannt wurde, startete die Gossenpresse eine Kampagne gegen ihn. Daß ein gesamteuropäischer Medienmarkt nicht im Interesse der drei Monopolisten liegt, ist klar. Aber gilt das auch für die proletarische Leserschaft? Die würde zumindest direkt von der Einführung einer Grundrechtscharta profitieren, die beispielsweise Mindestlöhne und maximale Arbeitszeiten reguliert. Die entsprechenden Zeitungen lösten das Problem, indem sie die Grundrechtscharta nicht erwähnten. Hier war ein nicht zu vermittelnder Interessengegensatz.
Leider tendieren Linke dazu, die Manipulationsmacht von Werbung und Medien allgemein kraß zu überschätzen. Fast alle Untersuchungen zeigen, daß Zuschauer und Leser sich eher auf eigene Erfahrungen und die ihrer Verwandten und Freunde verlassen als auf die Medien. “Zwischen 80 und 90 Prozent neuer Produkte versagen auf dem Markt trotz großen Werbeaufwands” (Fiske 1989 b: 31). Das gleiche gilt für Kinofilme, was bedeutet, daß die wenigen Treffer die Versager mitfinanzieren. Und das tun sie durchaus wegen ihrer riesigen Gewinnspannen.

 

 

Die durchschnittliche australische Familie ist jeden Tag 1 100 Werbungen ausgesetzt. 539 in Zeitungen und Zeitschriften, 374 im Fernsehen, 99 im Radio und 22 im Kino. Der Rest sind Leuchtreklamen oder auf Plakatwänden, Taxis, Bussen, in Schaufenstern und Supermarktkassen. Aber, so stellte die Untersuchung fest, die Menschen erinnern sich nur an drei bis vier Werbungen am Tag... (Fiske 1989 b: 31).

Solche Studien untersuchen nur kurzzeitige Effekte ausgerichtet, erfassen also nicht die Langzeitwirkungen dieses Bombardements. Dennoch müssen solche Ergebnisse zu denken geben. Sie zeigen Grenzen der Medienmacht, und schließlich ist dem Kommunismus mit unrealistischen Manipulationstheorien nicht geholfen. Um also zusammenzufassen, die Eigenarten der medialen Ware sind im wesentlichen:

  • Die mediale Ware ist ein öffentliches Gut, wird also künstlich knapp gehalten. Die Regeln des Privatbesitzes hemmen die Produktivität der Medien, beispielsweise wenn Arbeitskraft aufgewendet wird, um Compact Discs mit Kopierschutzvorrichtungen auszustatten.
  • In gewisser Weise wird sie zweimal verkauft: erst an das Publikum, das wiederum an die Anzeigenkunden verkauft wird. Das bedeutet, daß was der Markt bietet, nicht unbedingt den Wünschen des Publikums entspricht.
  • eine eigenartige organische Zusammensetzung zu haben. Die niedrigen Reproduktionskosten machen die Medien besonders anfällig für Monopolisierungstendenzen, daher die aktuelle Struktur des weltweiten Medienmarktes nach Jahren der Deregulierung (Wilken 2001). Das bedeutet aber nicht, daß Murdock oder Berlusconi das Bewußtsein der Massen bestimmen.

     

     

    Öffentlichkeit und parlamentarische Demokratie
    Für sich genommen treffen aber alle diese Eigenschaften auch auf andere Waren zu, auf die Stromversorgung, auf den öffentlichen Transport etc. Das besondere der medialen Ware liegt in ihrem Gebrauchswert. Der Begriff der Öffentlichkeit, wie in Jürgen Habermas benutzt, beschreibt diesen Gebrauchswert als Teil des Zusammenhangs von Staat, Kapitalismus und Medien. Die bisherigen Debatten haben nicht ausreichend zwischen Normativem und Faktischem unterschieden (Gitlins 1998). Wenn Habermas sagt,

    Die Massenmedien müssen freigehalten werden vom Druck politischen und funktionalen Eliten; sie müssen in der Lage sein, Diskurse der öffentlichen Meinungsbildung anzuregen und aufrechtzuerhalten, ohne die kommunikative Freiheit des kritischen Publikums einzuschränken (Habermas 1996: 442).

    ist das folgende eine normative Forderung oder eine Beschreibung? Es ist beides: ein Ideal, das die kapitalistische Wirklichkeit nicht einlösen kann, und eine Beschreibung der Funktion von Öffentlichkeit in der bürgerlichen Demokratie. Auch wenn Mediensysteme diese Forderung gegenwärtig nicht erfüllen und auch niemals erfüllt haben, das diskursive Ebene ist unverzichtbar für den Parlamentarismus (kritisch dazu Fraser 1993). Worin also besteht die Rolle der Öffentlichkeit? Liberalen Demokratie ist definiert durch gesetzlich geregelte Prozesse und durch politische Repräsentation. Alle Frage von öffentlichem Interesse stehen zur öffentlichen Debatte (Schudson 2000: 146). Die politische Vermittlung findet nicht nur in den Parlamenten statt, sondern innerhalb der Medien. Aber diese öffentlichen Debatten finden statt innerhalb eines kapitalistischen Marktes, wo verschiedene Medienanbieter miteinander konkurrieren, Oligopole oder Monopole entstehen etc. In diesem Markt müssen die symbolischen Formen profitabel für Unternehmer sein, um zu zirkulieren. Das seltsame an der Öffentlichkeit im Kapitalismus – in Wirklichkeit ist der Begriff Öffentlichkeit außerhalb des Kapitalismus sinnlos! – ist, daß die notwendige Vermittlung einer warentauschenden Gesellschaft selbst in der Form des (medialen) Warentauschs organisiert ist.
    Kapitalistische Gesellschaften überlassen die gesellschaftliche Vermittlung also teilweise dem Markt, aber eben nur teilweise. Kapital besitzt eine destruktive, nicht nachhaltige Logik. Sich selbst überlassen untergräbt Kapital unausweichlich seine eigenen Voraussetzungen, den Arbeiter und den Boden. Es kann diese Voraussetzungen nicht aus sich selbst heraus schaffen. Widersprüche bestehen nicht nur zwischen den Bürgern im Besitz von Produktionsmitteln und denen, die keine besitzen, sondern zwischen allen, die auf dem Markt miteinander konkurrieren. Konsens ist also nicht automatisch gegeben, sondern muß aktiv hergestellt werden. Die Reproduktion der Gesellschaft wird, mehr oder weniger erfolgreich, gesichert, in dem die Macht des Kapitals eingeschränkt wird, die nicht funktionalen Konsequenzen kapitalistischer Verwertung begrenzt werden (Wilken 2001: 28). Die einzige Institution, die dazu in der Lage ist der Staat, der, als “idealer Gesamtkapitalist” (Marx), das gemeinsame Wohl gegen den beschränkten Interessen der Einzelkapitalien durchsetzt. Er verhindert Krisen, in dem er die “funktionalen Mängel des Marktes ausgleicht” (Habermas). Der Gebrauchswert der Medien ist nicht nur individuell (wie der einer Mahlzeit beispielsweise), sondern die Medien haben einen politischen und sozialen Gebrauchswert für die ganze Gesellschaft. Gelegentlich wird dieser durch Interventionen des Staates gesichert.
    Denn “Märkte produzieren ständig sogenannte Externalitäten (...) nicht beabsichtigte soziale Konsequenzen”. Das Streben nach Profit führt zu Konsequenzen, die positiv oder häufig “extrem destruktiv und irrational” (McChesney 1999: 144) sind. Vom Standpunkt der Verwertung ist das Funktionieren der Öffentlichkeit eine solche Externalität. Der Staat beschränkt den Druck des Marktes auf das Mediensystem, aber dennoch müssen die Medienwaren profitabel für die Unternehmer bleiben, deren Profitstreben die oben beschriebenen politischen Funktionen untergräbt. “Indem wir diese entscheidende Funktion der Regierung begreifen widerlegen wir den Mythos, daß irgend etwas an Märkten natürlich sei” (142).
    Liberale Demokratietheorien betonen mit Recht die Bedeutung von Information für Politik und Wirtschaft. Benedict Anderson beschreibt den Druckkapitalismus als Kernsektor der frühen Moderne (1983: 46-9; unter Historikern allerdings umstritten). Geschichtlich gab es eine enge Verbindung von liberaler Demokratie und Öffentlichkeit, die “das Gegenstück zur Zwangsmacht des Staates” (Habermas 1997: 56) darstellt. Aber diese charakteristische Verbindung ist niemals gesichert, sondern so krisenanfällig wie Kapitalismus eben ist.
    Wer gehört also zur Öffentlichkeit, wo ist ihre Grenze? Die Zielgruppe des Staates sind alle Bürger, die Zielgruppe des Marktes sind alle potentielle Konsumenten. Die Medien stellen die gesellschaftliche Einheit her, nicht in dem Sinne, daß alle das gleiche denken, sondern daß alle über das gleiche reden.

    Die Grenzen jedes Publikums sind veränderlich, je nach dem wie viele Menschen sich erregen oder sich zu langweilen beginnen und das Interesse verlieren. Aber soweit die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf eine Debatte über ein bestimmtes Thema gerichtet ist, bilden sie eine Gemeinschaft – ein einziges Publikum – unabhängig von der unterschiedlichen Meinung, die beide Seiten trennt (Lang / Lang 1983: 13).

     

     

    Eskalation und Selbstbezug
    John Fiske drückt die typische Haltung von Medienwissenschaftlern aus, wenn er sagt, daß wir “in einer postmodernen Welt nicht länger von einem stabilen Verhältnis zwischen einen realen und seiner medialen Repräsentation ausgehen können” (1996: 2). Mit Bezug auf Jean Baudrillard läßt er beide Ebenen in der “Hyperrealität” zusammenfallen, und ergänzt diese Idee nur um den Begriff “diskursiver Kampf” (3).
    Baudrillard und Fiske sind sicher extrem, aber grundsätzlich sind Widerspiegelungstheorien in der aktuellen Medienwissenschaft außerordentlich unbeliebt. Die Widerspiegelung kann mit einem Spiegel verglichen werden, der Phänomene zurück in die Gesellschaft projiziert. Heutzutage gilt “Repräsentation an sich” (Gross 1989: 131; eines von unzähligen Beispielen) als das entscheidende. Der “postmoderne” Selbstbezug führt angeblich dazu, daß Meinungen und Themen wahllos aufgegriffen werden. Der theoretische Ahnherr war der amerikanische Medienwissenschaftler McLuhan mit seiner vielzitierten Phrase, daß das Medium selbst die Botschaft sei, nicht was berichtet wird ist wichtig, sondern daß berichtet wird etc. Wie bei Geld gilt die Vermittlung hier als das Wesentliche. Aber was ist Vermittlung an sich? Offensichtlich nur ein Widerspruch in sich selbst.
    Der Selbstbezug der Medien existiert nur auf der Erscheinungsebene, und oft nicht einmal dort. Auch wenn die Medien sicher kein Spiegel sind (weil sie beispielsweise in ihrer Vermittlung auch eigene Interessen verfolgen), sind sie auf die gesellschaftliche Wirklichkeit außerhalb ihrer selbst angewiesen. Sie funktionieren als Filter und Verstärker. Manche haben leicht Zugang zu den Medien, um ihre Anliegen und Meinungen zu verbreiten, andere nicht. Medien sind wichtig, weil sie soziale Wirklichkeit nicht nur übermitteln, sondern formen. Die Medien sind ein Spiegel, der verzerrt. Aber solche Phänomene können nur begriffen werden, wenn die mediale Vermittlung als Teil der politischen Wirklichkeit begriffen wird. “Kritische Medienwissenschaft an sich”, isoliert von einer umfassenden Gesellschaftskritik, kann es nicht geben.
    Es gibt eskalierende Momente im Vermittlungsprozeß, die (nur) scheinbar selbststimulierend sind: 1) die “Schweigespirale”, 2) der tautologische Charakter von kultureller Popularität und 3) der sogenannte Rudeljournalismus.
    1) Die Mainzer Professorin Elisabeth Noelle-Neumann, bekannt für ihre Publikumsforschung, Leiterin des Allensbach-Instituts und eine gute Freundin von Helmut Kohl, behauptet, daß das mediale “Agenda-setting” (die Entscheidung, was auf die politische Tagesordnung gehört) grundsätzlich die Themen und Meinungen von Minderheiten benachteiligen. Sie bezieht sich auf die Rolle von Journalisten als sogenannte “gate-keeper” (Torwächter). Ihrer Meinung nach werden die Überzeugungen und Themen, die diese Medienarbeiter nicht interessieren oder die sie ablehnen, unterrepräsentiert. Über sie wird nicht in dem Masse berichtet werden, wie das dem Interesse der allgemeinen Öffentlichkeit entspricht. Aktuelle Studien haben gezeigt, daß der wesentliche Einfluß in Medienunternehmen von den Institutionen und nicht von Individuen ausgeübt wird, weil letztere sich üblicherweise der Linie ihres Mediums anpassen (Schudson 2000: 149). Wie auch immer, der Mechanismus der Schweigespirale bleibt der gleiche: Menschen tendieren dazu sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen, die der Minderheit wird weniger geäußert, deshalb weniger geteilt, deshalb weniger geäußert etc.

    Wenn Menschen glauben daß sich andere von ihnen abwenden leiden sie so sehr, daß sie durch ihre Sensibilität so leicht geleitet oder manipuliert werden können als gingen sie am Zügel. Die Furcht vor Isolation scheint der Antrieb zu sein, der die Schweigespirale in Bewegung setzt (Noelle-Neumann 1993: 6).

    Auch wenn das nur für Publikumsteile gilt die keine persönlichen Beziehungen miteinander haben und insgesamt davon abhängt, wie repressiv das gesellschaftlichen Klima ist, solche Schweigespiralen beeinflussen häufig das Verhalten der Medien.
    2) Im Gegensatz zu diesem minimierenden Effekt gibt es auch aufschaukelnde Phänomene. Unter den Funktionären der amerikanische Kulturindustrie zirkuliert der Spruch “Nichts verkauft sich so wie ein Hit!” Das klingt wie eine Tautologie, ist aber keine: was populär ist, erregt mehr Aufmerksamkeit, wird deshalb mehr gekauft. Die Popularität eines Produkts wird genährt von ihrer Popularität, wenn beispielsweise “Schallplattenkäufer mögen oder kaufen in Reaktion dazu, wie die Hitparade die Platte einstuft, die sie mögen oder nicht mögen oder die ihnen egal ist” (Toynbee 2002: 156). In den USA sind noch drei überregionale Radiounternehmen übrig, die ihr Musikprogramm national planen. Sie entscheiden, was die Leute hören und kaufen. 3) Der sogenannte Rudeljournalismus ist ein Beispiel für Eskalation auf der Produktionsebene. “Reporter werden von der Phobie bestimmt, sie könnten nicht über das schreiben, worüber alle andere Reporter auch schreiben” (Schudson 2000: 151). Solche medienintrinsischen Phänomene entziehen sich jeder Kontrolle, auch wenn die professionellen spin doctors in der politischen Kommunikation versuchen, sie sich zunutze zu machen.

     

     

    Eine postdemokratische Gesellschaft?

    Es ist durchaus möglich, daß die Ära der rein repräsentativen Regierung zu Ende geht.
    Peter Mandelson, 1998

    In den letzten Jahrzehnten ist die Rolle der Öffentlichkeit immer widersprüchlich geworden. Die Distributionssphäre und Zirkulationssphäre hat sich räumlich und sozial immer weiter ausgeweitet. In den Metropolen nehmen mehr und mehr alltägliche Funktionen Warenform an. Die Peripherie wird immer urbaner, zwischenmenschliche Beziehungen werden säkularer und institutionalisiert. Technische Fortschritte, besonders in der Telephon- und Computer-technologie, machen eine größere Dichte und Geschwindigkeit der Kommunikation möglich. Allgemein hat die Wandlung vom Fordismus zu einem neuen Organisation der Akkumulation zu einer neuen Stufe der Raumzeit-Kompression geführt, wie sie David Harvey beschreibt (1990: besonders 260-86). Allerdings sollte diese nicht überschätzt werden. Nicholas Garnham hat mit Recht darauf hingewiesen, daß besonders Kulturkonsum, der auf Entspannung und ein anderes Zeitempfinden beruht, sich widerspenstig gegenüber solche Intensivierung zeigt (2000: 79), die letztendlich eine Intensivierung der Arbeit bedeutet.
    Es wird also “mehr” kommuniziert, und Kommunikation ist geradezu das Modell für alle andere gesellschaftlichen Prozesse. Andererseits hat aber im selben Zeitraum die politische Aktivität stetig abgenommen, etwa die Wahlbeteiligung. Das zeigt eine Legitimationskrise. Die Medien, ohnehin Teil der politischen Vermittlung, versuchen die so entstehende Lücke auszufüllen. Vor der letztjährigen Parteikonferenz der Labour Party schrieb der Kommentator einer englischen Zeitung Jackie Ashley:

    Die Tage der wirklichen Entscheidungsmacht der Parteimitglieder sind schon lange vorbei (...) Vielleicht müssen wir einfach akzeptieren, daß die Alleswisser recht haben, die sagen, daß Parteipolitik am Ende ist, und daß die Politiker direkt auf die Wähler über die Medien einwirken können (...) Es gibt so viele verschiedene Arten, wie Bürger heute sich an politischen Prozessen beteiligen können: Anrufe bei Radioshows, Demonstrationen zum Parlament, Konsumentenboykotts, Fokusgruppen, sogar Internetumfragen. Letztendlich sind Parteien auch nur Maschinen: wenn Maschinen überflüssig werden, werden sie verschrottet (‘Fighting Talk’, Guardian 28. 9. 2002).

    Dieser Kommentar, durchaus typisch, verbindet die Sphäre der Medien mit der der Politik. Eine Praxis kann die andere ersetzen, zumindest als Surrogat fungieren. Was beide Praxen gemeinsam haben, ist das Element der Repräsentation, das “Sprechen für andere”. Heute reagieren westliche Regierungen extrem schnell auf das Schwanken der öffentlichen Meinung. Aber diese Reaktionen bestehen üblicherweise in reinen PR-Aktionen rein (Philo / Miller 2001: 18 und passim). So sichern sie sich akklamatorische Legitimität. Indem die Medien dabei mitspielen und die Politiker an Populismus noch zu überbieten versuchen, tragen sie zur “Schwächung der repräsentativen Demokratie” bei, ohne daß eine bessere gesellschaftliche Alternative zur Zeit zu haben ist. Statt dessen entsteht eine “direkte Ersatz- Demokratie” (Blumler / Gurevitch 2000: 130; siehe auch McNair 1997: 97-8).

     


    Literatur

    Anderson, Benedict (1983) Imagined Communities: Reflections on the Origins and Spread of Nationalism London: Verso.

    Baudrillard, Jean (1983) In the Shadow of the Silent Majorities: The End of the Social and Other Essays (Translated by Foss, Paul / Johnston, John and Patton, Paul) New York: Semiotext(e).

    Clarke, John (2000) ‘Dupes and Guerillas: The Dialectics of Cultural Consumption’ In Lee, Martin J. (ed.) The Consumer Society Reader Oxford: Blackwell pp. 288 – 293.

    Curran, James / Gurevitch, Michael (2000) Mass Media and Society London: Arnold.

    Curran, James (2000) ‘Mass Media and Democracy Revisited’ In Curran / Gurevitch (2000) Mass Media and Society London: Arnold pp 81 – 119.

    Dervin, Brenda et al. (1989) Rethinking Communication (Volume 2) London: Sage.

    Fiske, John (1996) Media Matters: Race and Gender in U.S. Politics (Revised Edition) Minneapolis: University of Minnesota Press

    Fiske, John (2000) ‘The Commodities of Culture’ In Lee, Martin J. (ed.) The Consumer Society Reader Oxford: Blackwell pp 282 – 287.

    Fraser, Nancy (1993) ‘Rethinking the Public Sphere: A Contribution to the Critique of Actually Existing Democracy’ In Robbins, Bruce (ed.) The Phantom Public Sphere University of Minnesota Press pp 1 – 32.

    Gitlins, Paul (1988) ‘Public Sphere or Public Sphericules?’ In Liebes, Tomar / Curran, James (eds.) Media, Ritual and Identity London: Routledge pp 168 – 174.

    Garnham, Nicholas (2000) On the Cultural Industries In Curran, James / Gurevitch, Michael (eds.) Mass Media and Society London: Arnold pp 78 – 83.

    Garnham, Nicholas (2000 b): Emancipation, the Media, and Modernity: Arguments about the Media and Social Theory Oxford and New York: Oxford University Press.

    Van Gompel / Hilde van den Bulck / Biltereyst (2002) ‘Media Industries’ In Newbold, Chris et al. (eds.) The Media Book Arnold pp 162 – 211.

    Gross, Larry (1989) ‘Out of the Mainstream: Sexual Minorities and the Mass Media’ In Seiter, Ellen et al. (eds.) Remote Control London: Routledge pp 130 – 149.

    Gurevitch, Michael / Blumler, Jay G. (1995) The Crisis of Public Communication London: Routledge.

    Gurevitch, Michael / Blumler, Jay G. (2000) ‘Media Change and Social Change: Linkages and Junctures’ In Curran, James / Gurevitch, Michael (eds.) Mass Media and Society London: Arnold pp 120 – 137.

    Habermas, Jürgen (1996) Between Facts and Norms (Translated by Wilhelm Regh) London: Polity Press.

    Habermas, Jürgen (1997) ‘The Public Sphere’ In Marris, Paul / Thornham, Sue (eds.) Media Studies Edinburgh University Press pp 55 –59.

    Harvey, David (1990) The Condition of Postmodernity: An Inquiry into the Origins of Cultural Change Oxford: Blackwell.

    Hesmondhaglh, David / Negus, Keith (2002) Popular Music Studies London: Arnold.

    Kellner, Douglas (1994): Baudrillard: A Critical Reader Oxford: Blackwell.

    Lang, Gladys / Lang, Kurt (1983) The Battle for Public Opinion: The President, the Press, And the Polls During Watergate New York: Columbia University Press.

    Lee, Martin J. (1989): The Consumer Society Reader Oxford: Blackwell.

    Liebes, Tomar / Curran, James (1988): Media, Ritual and Identity London: Routledge.

    Marris, Paul / Thornham, Sue (1997) Media Studies Edinburgh University Press.

    Marx, Karl (1987) Das Kapital: Kritik der Politischen Ökonomie Erster Band (MEW Band 23) Berlin: Dietz.

    McNair, Brian (1997) An Introduction to Political Communication London: Routledge.

    Robert McChesney (1999) Rich Media, Poor Democracy: Communication Politics in Dubious Times University of Illinois Press.

    Meyrowitz, Joshua (1985) No Sense of Place: The Impact of Electronic Media on Social Behaviour Oxford University Press.

    Murdock, Graham (1989) ‘Critical Inquiry and Audience Activity’ In Dervin, Brenda et al. (eds.) Rethinking Communication (Volume 2) London: Sage pp 226 – 249.

    Newbold, Chris et al. (2002) The Media Book London: Arnold.

    Philo, Greg / Miller, David (2001) Market Killing: What the Free Market Does and What Social Scientists Can Do About It Harlow, England: Longman.

    Robbins, Bruce (1993) The Phantom Public Sphere University of Minnesota Press.

    Schoonmaker, Sara (1994) ‘Capitalism and the Code: A Critique of Baudrillard’s Third Order Simulacrum’ In Kellner, Douglas (ed.) Baudrillard. A Critical Reader Oxford: Blackwell pp 168 – 187.

    Schudson, Michael (2000) ‘The Sociology of News Production Revisited’ In Curran, James / Gurevitch, Michael (eds.) Mass Media and Society London: Arnold pp 141 – 159.

    Ellen Seiter et al. (1989) Remote Control London: Routledge.

    Toynbee, Jason (2002) ‘Mainstreaming: From Hegemonic Centre to Global Networks’ In Hesmondhaglh, David / Negus, Keith (eds.) Popular Music Studies London: Arnold pp 149 – 163.

    Wilken, Peter (2001) The Political Economy of Global Communication: An Introduction (Human Security in the Global Economy Series) London: Pluto.