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Der fünftgrößte Medienkonzernen der Welt, ein gigantisches Unternehmen von kaum zu überschauendem Ausmaß und nicht zu überschätzendem Einfluss - Bertelsmann. Dennoch gab es bisher, von eigenen Verlautbarungen abgesehen, überraschend wenig Informationen über dem Konzern. Wer weiß schon, dass die Agenda 2010 durchaus die Handschrift der Bertelsmann-Stiftung trägt? Oder dass das Unternehmen mit Sitz in Gütersloh in China Fernsehen produziert?
Pünktlich zum nahenden 170jährigen Firmenjubiläum wollen zwei neue Bücher diese Lücke schließen. Thomas Lehnings "Das Medienhaus" ist aus einer Dissertation entstanden. Es genügt allen wissenschaftlichen Ansprüchen, allerdings ist es wegen des akademischen Stils eher anstrengende Lektüre. Die Geschichte und aktuellen Aktivitäten des Konzerns, der mittlerweile in 54 verschiedenen Ländern aktiv ist, werden ausführlich dargestellt; zahlreiche Graphiken bringen Ordnung in den Dschungel der Beteiligungen.
Während Lehning nüchtern analysiert, wollen Hersch Fischler und Frank Böckelmann "hinter die Fassade des Medienimperiums" (so der Untertitel) blicken und tun das mit investigativem Gestus. Hier wird klar, dass die eigentliche Erfolgsgeschichte Bertelsmann im 3. Reich und mit den entsprechenden Buchtiteln begann. Die Autoren räumen mit zahlreichen Legenden auf, die von dem Konzern gerne gepflegt wurden. Dabei nehmen sie dem damaligen Konzernchef Heinrich Mohn nicht seine Willfährigkeit gegenüber den Nazis übel, nicht die Kriegsgewinne und auch nicht den Nationalsozialismus, sondern seine spätere "Heuchelei und Selbstüberhöhung" - ein merkwürdiger Standpunkt, der ihrer Kritik eine Stoßrichtung verleiht, die oft ebenso gewunden daherkommt wie die Verlautbarungen des Konzerns über seine "Identität" und "Unternehmenskultur".
Ein kaum beachteter Aspekt war bislang die Bertelsmann - Stiftung. Zu Unrecht, handelt es sich doch nicht nur um die größte Privatstiftung Deutschlands, sondern auch um die einflussreichste! Dabei arbeiten sich Stiftung und Konzern gegenseitig zu, jüngst etwa bei dem Versuch, den chinesischen Markt zu erschließen. Ausführlich zeigen Böckelmann und Fischler, dass deutsche Politiker sich dieses Machtfaktors wohl bewusst sind. Leitbild der Stiftung (beziehungsweise bekannteren "Centrums für Hochschulentwicklung", das hauptsächlich von Bertelsmann finanziert wird) ist "Effizienz" - ein unternehmerisches Konzept, das umstandslos auf Krankenhäuser oder Hochschulen übertragen wird. Die tendenzielle Staatsfeindlichkeit der Stiftung erklärt Lehning durch die Konflikte mit staatlichen Regulierungsbehörden: "Die ihn reglementierenden Staaten begreift der Konzern auf dem Weg zu seinen Zielen häufig als Widersacher, deren laufenden Interventionen eine Gefahr für das Unternehmen und die globale Wirtschaft darstellen." Die oft eher halbherzigen staatlichen Versuche, die Anhäufung von Marktanteilen bei Bertelsmann zu kontrollieren, seien gescheitert.
Fischler und Böckelmann dagegen kommen zu einer überraschend pessimistischen Zukunftsprognose: um ihren Einfluss zu behaupten, werde die Familie Mohn einen Börsengang weiterhin verhindern, dafür aber demnächst den Anschluss an die Konkurrenz verlieren. Ihr Versuch, die Aktivitäten Bertelsmanns als besonders skandalös darzustellen, scheitert allerdings. Obschon der einzige Medienmulti, der noch unter der Kontrolle einer Familie steht, ist an Bertelsmann kaum etwas besonderes. Die zahlreichen Übernahmen haben das inhaltliche Profil abgeschliffen, und so kann heute praktisch jedes Medienprodukt von Bertelsmann vertrieben werden - solange es sich verkauft. Wie sagte es der ehemalige Vorstandssprecher Thomas Middelhoff: "Was sich nicht rentiert, muss weg."

 

Thomas Lehning (2004) "Das Medienhaus": Geschichte und Gegenwart des Bertelsmann-Konzerns. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag.

Frank Böckelmann / Hersch Fischler (2004) Bertelsmann: Hinter der Fassade des Medienimperiums. Frankfurt: Eichborn.

 

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