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Schröders Tränen

Schröders Tränen

Eine hilflose Polemik
(November 2005)

Ich bin alt genug, um mich noch an jene Zeit zu erinnern, als zur besten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch keine militärischen Aufmärsche zu sehen waren, so alt sogar, daß ich Popkultur und Militär durchaus als Widersprüche empfinde. An jenem Fernsehabend am 20. November war ich erst verwirrt, dann befremdet von der immergleichen Kamerafahrt über die Uniformträger, die da zu Ehren Gerhard Schröders aufmarschiert waren, schließlich fassungslos.
Deutsche Bundeskanzler werden offensichtlich mit einer Art Soldatenballett verabschiedet, das "Großer Zapfenstreich" genannt wird, und offensichtlich darf, wer schon aus dem Amt scheiden muß, sich seine Lieblingslieder von der Blaskapelle wünschen. Was aber wünschte Schröder sich zu seinem Abschied?

Schröder wünschte sich Die Moritat von Mackie Messer, Summertime von George Gershwin und My Way von Frank Sinatras.

Zwei Wochen später wurde bekannt, dass er sich zu diesem Zeitpunkt bereits den Aufsichtsratsposten bei der Gesellschaft der Ostsee-Gaspipeline gesichert hatte, ja: dass er sich schon viel früher Gedanken gemacht haben muß über seine weitere berufliche Laufbahn, wie die Floskel lautet. Denn wäre er am 22. Mai zurückgetreten, nachdem seine Partei die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen verloren hatte, wie hätte er am 8. September mit seinem Freund und Kollegen Wladimir Putin das Pipeline-Projekt unterzeichnen sollen? So nahm der Kanzler Zuflucht zu der gewagten Konstruktion, die sozialdemokratische Fraktion im Parlament dazu zu bringen, ihm das Vertrauen zu entziehen, und demonstrierte einmal mehr seine Verachtung für die Regelhaftigkeit parlamentarischer Demokratien, die er mit Tony Blair oder Silvio Berlusconi teilt. Mühsam und umständlich ist das politische Geschäft, nun sitzt Schröder im Aufsichtsrat und macht sich nützlich.
Nachdem der Coup mit der Ostsee-Pipeline Anfang Dezember bekannt wurde, verurteilten Kommentatoren und Politiker, was sie Schröders "Instinktlosigkeit" nannten, er habe zu wenig Gespür für die Empfindlichkeit der Deutschen. Das verfehlt das Thema, aber sagt genug: der ehemalige Kanzler demonstriert, was sich nicht herumsprechen soll. Daß er sich ganz indiskret bereichert, ist der politischen Klasse peinlich. Er füllt ihren Namen, den Begriff der "politische Klasse" für alle erkennbar mit Inhalt, wenn er vom Politiker zum Manager und demnächst vielleicht wieder zum Politiker wird.
Am 20. November aber wurden Fackeln in die Berliner Winterluft gehalten, während die Blaskapelle das schöne Lied von Bertolt Brecht und Kurt Weill quälte. Den beiden darf es egal sein; wir sind es, die veralbert werden. Was für eine Inszenierung! Die Poplinke in Deutschland, auf eigenem Terrain herausgefordert, blieb einmal stumm - kein Wunder, die Selbstdarstellung eines Mächtigen, der dazu auch noch souverän die Massenmedien einspannt, paßt ihnen nicht ins verschrobene Konzept. "Und sein Geld hat Mackie Messer / dem man nichts beweisen kann", heißt es - wer kann Schröder verdenken, daß da sein Fuß im Takt wippt?
Als aber die Kapelle die Schnulze Sinatras elegisch zu intonieren begann, da überwältigte ihn die Rührung über sich selbst, und er begann zu weinen.

And now, the end is near / and so I face the final curtain / I state my case / of which I'm certain ...

Womit diese Haltlosigkeit vergleichen? Mit einer Schauspielerin, die sich selbst zur Premiere Rosen bestellt und dann ganz überrascht ist, wenn sie ihr gegeben werden? Aber das ist rührend, Gerhard Schröders Sentimentalität der eigenen Person gegenüber ist schlimm. Die Blaskapelle blies, und in seinem Gesicht wurde es feucht und feuchter. Tatsächlich: auf ganz eigene Art hat er es gemacht, als er Krieg gegen Jugoslawien führen ließ, als er die Verarmung in Deutschland vorantrieb. Seine Nachfolgerin sagt, sie wolle "Deutschland dienen". Das glaubt Schröder von sich auch, nur dient er dabei nicht zuletzt sich selbst. Widersprüchlich findet er das deshalb nicht, weil ihm im Laufe seines Aufstiegs vom Sohn eines westfälischen Hilfsarbeiters zum Bundeskanzler die Fähigkeit zur kritischen Selbstbetrachtung und damit zur Scham abhanden kam.

 

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