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Krieg gegen Brecht
Anlässlich des Antikriegstages loben Politiker im Berliner Ensemble Brecht und sich selbst.

Es gibt einen Internationalen Tag für das Gedenken an den Regenwald und einen zum Schutz des Kindes, einen Tag des Buches und einen für die Rückengesundheit. Es gibt auch den 1. September, dem Weltfrieden gewidmet und im Westen meist "Antikriegstag" genannt. Der Antikrieger Bertolt Brecht starb vor fünfzig Jahren, weshalb im Theater „Berliner Ensemble“, seiner ehemaligen Wirkungsstätte, gerade eine Veranstaltungsreihe stattfindet. Eine gute Gelegenheit, dachte sich die Intendanz, und lud am vergangenen Freitag "Politiker aller Couleur" ein, die sich und den Krieg und den Dichter miteinander in Verhältnis setzen sollten.
Tatsächlich wartet eine regelrechte Menschenmenge vor dem Theater, um den Schauspieler Peter Sodann, Jürgen Trittin, die SPD-Abgeordneten Hermann Scheer und Ottmar Schreiner und die PDS-Politiker Gregor Gysi und Gesine Lötzsch zu sehen. (Die ebenfalls angekündigten Peter Gauweiler und Oskar Lafontaine entziehen sich heute ihrer Gedenkpflicht.) „Brecht gegen Krieg“ lautet der Titel des Abends, das Durchschnittsalter des Publikums liegt entschieden über 40. Die Hosen der Männer sitzen schlecht und ihre Brillen sind goldfarben. Zwischen denen, die aussehen wie ostdeutschen Verwaltungsbeamte und auch welche sind, stehen vereinzelt Menschen ganz in Hochkulturschwarz und mit literarischem Seitenscheitel. Das Haus ist ausverkauft.
"Brecht mit der Politik zu konfrontieren", sei das Anliegen dieses Abends, moderiert Diether Dehm gut gelaunt drauf los und stellt zu Beginn die Frage, ob man Kommunist sein muss, um Brecht verstehen zu können. Norbert Blüm, telephonisch zugeschaltet, antwortet erwartungsgemäß. Nun beginnen die Politiker, ihre angeblichen Lieblingsgedichte vom armen B. B. vorzutragen. Das ist eine unerhört schmerzhafte Erfahrung, besonders weil sie es ausnahmslos im Besinnungston zum Sonn- beziehungsweise Weltfriedenstag tun. Die klassisch schlichte Sprache des bedauernswerten Brechts wird von ihnen geradezu vergewaltigt, und als wäre das nicht schon zuviel, können ihre Schmerzenschreie sogar auf einer CD am Ausgang erworben werden.
Was bleibt von Bertolt Brecht, sieht man von seinem Kommunismus ab? Die „durchschlagende Wirkungslosigkeit eines Klassikers“ (Max Frisch) erhält „unser größter Theatermann“ (Jürgen Trittin) durch seine Wendung ins allgemein Menschliche – politisch ist er peinlich, aber großartige Figuren soll er geschaffen haben, Weltliteratur eben. Die Berufspolitiker sollen darüber diskutieren, verlangt Dehm. Daraufhin entfalten die auf dem Podium eine Charmeoffensive und spielen sich die Bälle zu wie beim Seniorenfußball: keiner geht verloren. Gysi berlinert, dass die Ohren bluten, Sodann kalauert. Wären nicht die Routiniers vom Ensemble, Literatur wäre ganz abwesend an diesem Abend.
Aktuell wird hier nichts, weder die Werke des Dichters, noch sein literarischer Kampf gegen die Kriegsgefahr. Dieser brachte ihn ohnehin auf Abwege. "Ihr Männer, greift zur Kelle, nicht zum Messer / Ihr säßet unter Dächern schließlich jetzt / Hättet ihr auf das Messer nicht gesetzt / Und unter Dächern sitzt es sich doch besser" – wenn Brecht sich seinen Landsleuten zuwendet, wird es ganz, ganz einfach, geradezu idiotensicher. Das müsste doch sogar den Deutschen begreiflich zu machen sein, dachte er wohl, dass wer das Unheil in die ganze Welt hinausträgt, sich nicht beschweren darf, wenn es schließlich nach Hause kommt. Schlichte Wahrheiten für schlichte Gemüter, aber weit über dem Niveau von "Brecht gegen Krieg".

 

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