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Solarer Sozialismus oder ökologisch nachhaltiger Kapitalismus?
Hermann Scheer und Elmar Altvater versuchen die Energiewende mit sozialem Inhalt zu füllen.

Großbritannien wird neue Kernkraftwerke bauen, verkündete Premier Blair im Mai unter lautem Jubel der Industrieverbände, die Forschungsförderung der EU im Bereich Kernfusion steigen von 1,2 auf 4,1 Milliarden Euro, während die meinungsführenden deutschen Medien die Befürworter von alternativen Energien mit Hohn und Spott überschütten – die energiepolitische Reaktion marschiert an allen Fronten. Aber gleichzeitig setzt sich quälend langsam die Einsicht durch, dass die fossilen Energie in absehbarer Zeit zuende gehen wird. Vor zwei Wochen forderte gar Dennis Stattman, Manager des amerikanischen Investmentfonds Merrill Lynch, die Energiekonzerne auf, endlich Vorsorge für die post–fossile Energieversorgung zu treffen. Das Finanzkapital für die Energiewende? Obwohl Stattmann und sein Konzern ökologischer Sympathien ganz unverdächtig sind, betonte er in einem Interview: „Die Konzerne müssen sich etwas einfallen lassen.“
Wie wird die Weltgesellschaft aussehen, nachdem die Erdölvorkommen erschöpft sind? Auf welche Technologien setzt das Kapital, um mittels Pfadabhängigkeit ihre Macht zu sichern? Solche Fragen versuchen nun zwei deutsche Umweltpolitiker zu beantworten: Hermann Scheer, Abgeordneter der SPD und Träger des Alternativen Nobelpreises 1999, setzt auf „Energieautonomie“ als einer politischen Strategie, während der Berliner Politologe Elmar Altvater Kapitalismuskritik mit dem ökologischen Selbsterhaltungstrieb verbinden will.
Scheer, der zuletzt in der SPD-Fraktion versuchte, eine ökologisch sinnvolle Besteuerung von Kraftstoffen durchzusetzen, kritisiert nicht nur die „transnationale Großmacht Stromindustrie“. Auch die Umweltbewegung habe mit falschen Kompromissen zu ihrer jetzigen Schwäche beigetragen. Ganz falsch sei es, Hoffnungen auf globale Konsensverhandlungen wie das Kyoto-Protokoll zu setzen. Der „energiewirtschaftliche Komplex“ (Scheer) tue alles, um den Ausstieg aus Erdöl und Erdgas so lange wie möglich hinauszuzögern und ignoriert beharrlich die katastrophalen Folgen. Mit Wasserstoffproduktion und Atomkraft will er seine Macht erhalten, denn beides erfordert große Kapitalien und zentrale Anlagen. Die Alternative dazu sieht der Autor in einem System aus vielen lokalen und regionalen Stromerzeugern, die mit unterschiedlichen Methoden Energie gewinnen und in lokale Netze einspeisen: „Nicht der Ausbau von überregionalen Übertragungsnetzen steht auf der Tagesordnung, sondern die Regionalisierung von Netzsystemen durch kommunale und regionale Stromunternehmen.“ Gelingen soll der Ausstieg aus Atom und Öl durch ein Bündnis aus Umweltbewegung, den Herstellern der neuen Energiesysteme und den Landwirten, die eine neue berufliche Perspektive als „Energiewirte“ gewönnen. Scheers Buch ist eine scharfe anti-monopolitische Polemik, allerdings eine ohne sozialen Inhalt; die Eigentumsverhältnisse und die Macht des Marktes kritisiert er nicht.
Anders der ausgewiesene Marxist Elmar Altvater, der im Untertitel seines neuen Buches „eine radikale Kapitalismuskritik“ verspricht. „Nicht immer sind sich die Verfechter erneuerbarer Energiesystem darüber im Klaren, dass diese nur funktionieren können, wenn die Produktionsweise, die Konsummuster, die Verteilungssysteme der Energie geändert werden.“ Altvater schickt sich an, dieses Selbstmissverständnis der ökologischen Bewegung aufzuklären. Im Rückgriff auf den französischen Historiker Ferdinand Braudel argumentiert er, der Kapitalismus werde nicht an seinen inneren Widersprüchen scheitern, sondern nur durch die Verbindung einer „glaubwürdigen Alternative im Innern“ und „äußerer Anstöße von extremer Heftigkeit“. Altvater identifiziert den äußeren Anstoß im Ende des Erdöls und die Alternative in einer angeblichen entstehenden „solidarischen und solaren Bewegung“.
Die industrielle Revolution war nur möglich durch das Zusammentreffen von kapitalistischen Formen, fossilen Energieträgern und europäischer Rationalität – von Altvater „trinitarische Kongruenz“ getauft. Ihr Zusammenspiel ermöglichte die historische Beschleunigung und Steigerung von Produktion und Distribution und auch Umweltvernichtung – Altvater zitiert Max Weber, der diesen Prozess einmal als „Hexensabbat“ bezeichnete, während der Dialektiker Karl Marx in der Zerstörung das „Fegefeuer der Menschheit“ erkannte.
Vom Verwertungsstandpunkt ist alles außer dem Profit „Externaltität“, also möglicherweise wünschenswert wie die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse oder schlecht wie die Zerstörung der (menschlichen) Natur. Der Staat verwandelt, seiner Aufgabe als ideeller Gesamtkapitalist gemäß, diese Externalitäten durch Gesetze in geldwerte Vorteile – zum Beispiel durch „Verschmutzungsrechte“. So treibt ergleichzeitig die Inwertsetzung voran; auch die Ozonschicht erhält einen (verhandelbaren) Preis. Mit Umweltgesetzgebung zwingt er den kurzsichtigen Einzelkapitalien ein Verhalten auf, dass mit ihrer natürlichen Grundlage auch die Nachhaltigkeit der Ausbeutung sichert. Allerdings betont Altvater, dass er diese Aufgabe nur äußerst ungenügend nachgekommt, weil internationale Vereinbarungen auf „weiches“ und deshalb meist unwirksames Recht setzen, nämlich auf Selbstverpflichtungen der Industrie und dehnbare Rahmenvereinbarungen.
Heute sei „Peak Oil“, der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung, vielleicht bereits überschritten, und das markiert unter anderem den Beginn weltweiter Verteilungskriege um die restlichen Ressourcen wie der gegen den Irak. Mit erneuerbaren Energien sei es nicht möglich, dass immer weiter steigende Tempo der Verwertung zu halten. Die Macht der herrschenden Klassen beruhe „auf der Verfügung über Öl, Gas und Atom“, und diese könne ihnen nun genommen werden. Warum sich allerdings Sonnenenergie und kapitalistische Verwertung ausschließen sollen, kann der Autor nicht überzeugend darlegen.
Altvater ist schon länger im polit-theoretischen Geschäft, das ist zu merken: er verteilt Lob an die alten Freunde und Tadel an die alten Gegner. Seine Synthese der politologischen Forschung und „die große Erzählung“ der Menschheitsgeschichte gerät leider ziemlich altväterlich und stellenweise geradezu banal. („Einen Tropfen Öl kann man nur einmal verbrennen. Das ist ein Naturgesetz.“) So umkreist er, sich häufig widerholend, seine Thesen. Wer will ihm widersprechen, wenn er den Kapitalismus als zerstörerisch und im wahrsten Sinne des Wortes nicht zukunftsfähig geißelt? Leider bietet sein Buch über diese ehrenwerten Absicht hinaus zu wenig.

Hermann Scheer (2005): Energieautonomie – Eine neue Politik für erneuerbare Energien. München: Verlag Antje Kunstmann.

Elmar Altvater (2006) Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Münster: Westfälisches Dampfboot.

 

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